(Deutsch) Multikulti im Einklang
Das Dresdner Chorprojekt Singasylum e.V. war ebenfalls Finalist des ersten European Youth Culture Awards 2017 und hat sich seitdem weiter gesteigert. Ende April 2018 bestreitet die Gruppe gemeinsam mit dem Dresdner Kammerchor eine musikalische Uraufführung neuer Chormusik an prominenter Stätte: im Festspielhaus Dresden-Hellerau. Die EYCA-Nominerung, das Finale in Berlin, im Anschluss zudem die Auszeichnung beim Dresdner Laienchor-Preis 2017 mit dem ersten Platz in der Kategorie “gesellschaftlich-soziales Engagement” – die Sänger*innen von Singasylum haben sich ein Standing erarbeitet.
Dresdner und Flüchtlinge musizieren gemeinsam. Das trägt. 2015 hatten zwei Studentinnen die Gruppe initiiert und via Facebook die Suche nach einem Chorleiter gestartet. Irgendwie tickerte die Nachricht auch ins E-Mail-Postfach von Samira Nasser, die – zunächst zur Probe – zu den Proben stieß. Samira, 24 Jahre alt, studiert Schulmusik in Dresden. Es ist das erste Mal, dass sie einen Chor leitet. Das Projekt faszinierte sie auch deshalb, „weil interkulturelle Kompetenz gefragt war“, sagt die gebürtige Mecklenburgerin. Einen Arabischkurs belegte sie an der Hochschule, denn mit ihrem aus dem Jemen stammenden Vater spricht Samira Deutsch. „Ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen. Ein wenig bedauere ich das, aber mein Vater lebt schon so lange hier, die Frage stellte sich nicht.“ Nach drei Wochen übernahm Samira die Proben.
Viele Chöre haben ein Problem mit Männern. Genauer: Mit Männerstimmen, denn singbegeisterte Herren sind weniger zahlreich vertreten. Hier ist es anders. Als vermutlich einziger Chor Deutschlands verzeichnet Singasylum einen Überschuss an Sängern. Junge geflüchtete Männer aus Syrien, Eritrea, dem Irak oder Somalia kommen jede Woche mit Dresdnerinnen und Dresdnern zum Proben zusammen. Gehört hat den Chor auch schon die Kanzlerin.
„Stücke, die nicht nur auf Sprache basieren, sondern Tänze und Gesten einbeziehen“, so beschreibt Samira Nasser das Repertoire von Singasylum. In den Proben-Pausen wird Deutsch gesprochen, nur wenn es gar nicht anders geht, wechseln die Sänger ins Arabische. Titel aus ihrer Kultur steuern die Geflüchteten selbst bei, auch wenn sie nur deren Melodie summen können. YouTube hilft, Texte werden nach Gehör mitgeschrieben. „Zuhause notiere ich dann den Chorsatz“, ergänzt Samira. Musikalisch lässt sie sich auf alles ein, „solange es zum Chor passt.”
“Singasylum, das bedeutet Lieder mit Power. Lyrische Balladen, die liegen uns nicht so.“
Ein Stück aus ihrem Herkunftsland zur Aufführung zu bringen, ist für viele der Sänger ein berührender Moment. 200 Sängerinnen und Sänger verzeichnete Singasylum seit 2015. Etliche Geflüchtete aber auch Studierende, die nach einigen Semestern in Dresden woanders einen Job annehmen, ziehen irgendwann weiter. Andere bleiben dem Projekt treu. Aktuell hat der Chor 30 Aktive. Neue Mitglieder rücken nach. Von den Geflüchteten hat nahezu niemand sängerische Erfahrung. Die Chorleiterin sagt: „Je länger sie dabei sind, desto sicherer sind aber die Töne, die Menschen trauen sich etwas zu, hören aufeinander – und auf mich.“
Von Tanja Kasischke; Fotos: Privat, Bundesregieurung (1)