European Youth Culture Award
Allgemein EYCA 2018

„Man löscht kein Feuer, indem man es einfach ignoriert.“

Eine der neun Nominierten für den diesjährigen European Youth Culture Award ist das Deutschrap-Online-Magazin MZEE.com. Die Rapperin Pyranja, selber in der HipHop-Szene aktiv seit Ende der 1990er Jahre, sprach für Respekt! mit den leitenden Redakteuren Sascha Koch, Daniel Fersch und Florence „Lupa“ Bader sowie dem Gründer und Inhaber von MZEE.com Ralf Kotthoff über ihr Selbstverständnis und aktuelle Entwicklungen in der deutschen HipHop-Community.

Durch die Nominierung für den European Youth Culture Award 2018 rückt MZEE einmal mehr aus dem HipHop-Dunstkreis in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit. Was ist das Besondere an MZEE und womit definiert ihr sowohl eure Einzigartigkeit als auch euren persönlichen Anspruch an eure Arbeit?

Sascha Koch (Leitender Redakteur MZEE.com): MZEE ist im Bereich Rap- und HipHop-Journalismus neben einer Ausnahme das einzige Magazin, das komplett aus ehrenamtlichen Redakteuren besteht. Das bedeutet, dass hier nur Leute tätig sind, die das Ganze neben der Arbeit oder dem Studium auf die Beine stellen – aus reiner Liebe zur Sache. Das mag manchmal hinderlich erscheinen, weil wir an verschiedenen Stellen nicht den zeitlichen Aufwand betreiben können, den „Vollzeit-Redakteure“ bei anderen Magazinen betreiben, aber dadurch, dass wir aus freien Stücken und ohne finanziellen Hintergedanken agieren, sind wir absolut unabhängig. Wir behandeln die Themen, die uns wichtig erscheinen, und scheuen uns nicht davor, auch unangenehme Inhalte anzusprechen und uns politisch zu positionieren. Selbst wenn man dadurch mal mit einem Künstler oder anderweitig aneckt, lassen wir uns nicht für eine Meinung kaufen oder von außen beeinflussen. Das ist ein Luxus, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist – und auch unser Anspruch an uns selbst. Wir wollen unabhängig und professionell über die Sachen berichten, die uns in der Szene als wichtig erscheinen, und eine klare Haltung zu gewissen Themen in Szene und Gesellschaft einnehmen. Gleichzeitig möchten wir Außenstehenden auch die vielen Facetten präsentieren, die die HipHop-Szene zu bieten hat, weswegen wir unter anderem kleineren Künstlern, Producern oder Graffiti-Writern eine Plattform bieten, damit nicht immer nur die gleichen Themen in der Öffentlichkeit stattfinden.

MZEE gibt es nicht erst seit gestern, sondern hat wie kaum eine andere Institution speziell deutschen Rap und die HipHop-Kultur im Allgemeinen geprägt und mitgestaltet. Könnt ihr kurz eure eigene Historie skizzieren und gibt es rückblickend Knackpunkte in eurer Entwicklung, bei denen ihr aus heutiger Sicht vielleicht auch andere Entscheidungen getroffen hättet?

Sascha Koch: MZEE hat seit der Gründung Anfang der 1990er verschiedene Stadien durchlaufen. Richtig angefangen hat es quasi als Plattenlabel, auf dem unter anderem auch die Deutschrap-Legenden Advanced Chemistry oder die Stieber Twins ihre Musik veröffentlicht haben, weil die Major Labels damals noch keine Rap-Musik verlegen wollten. Auch gab es MZEE als Print-Fanzine, das sich mit allem rund um HipHop beschäftigt hat. Am bekanntesten war oder ist MZEE wohl aber wegen des Forums und als Online-Shop. Über das Forum veröffentlichte Kool Savas beispielsweise seinen bekannten Track „Das Urteil“, andere Rapper wie LGoony starteten hier ihre Karriere. Der Shop, der über zwanzig Jahre bestand und zeitweise der größte Online-Store für HipHop-Bedarf weltweit war, wurde 2014 geschlossen. Zeitgleich sind 15 Redakteure bei einem anderen Magazin ausgestiegen und hatten den Plan, gemeinsam etwas Neues zu starten. Durch einen Bekannten kam dann der Kontakt zwischen der Redaktion und dem MZEE-CEO Ralf Kotthoff zustande – und ab Januar 2015 wurden Konzepte erarbeitet, verworfen, überarbeitet und schließlich im September 2015 MZEE.com als Magazin relauncht. Rückblickend betrachtet gab es da vielleicht Momente, in denen man sich über das große Erbe geärgert hat, dass MZEE vor allem als Shop so groß wurde und öfter Stimmen laut werden à la „Öh, verkauft doch lieber wieder Klamotten“. Aber auf der anderen Seite können wir nun alles, was uns in den Sinn kommt, umsetzen, solange wir die technischen oder finanziellen Mittel dafür selbst aufbringen können. Wir haben niemanden, der über uns sitzt und sind von allem losgelöst. Auch vom MZEE-Forum, das immer noch Anlaufstelle für kritische Meinungen zu allem Rap-Bezogenen ist. Manchmal finden dort leider auch sehr negative Sachen statt. Von denen möchten wir uns gerne lossagen, da sie nicht nur nicht zu unserem Magazin gehören, sondern auch in der HipHop-Community oder der Gesellschaft nichts zu suchen haben, sobald sie beleidigend oder anderweitig fragwürdig sind. Anderseits muss aber auch erwähnt werden, dass das Forum als eigenständiges Medium Leute der Szene miteinander verknüpft, die dort schon seit Jahren konstruktiv und produktiv im Austausch stehen und damit die Szene bereichern. Deswegen möchten wir es dann doch nicht unbedingt anders haben – aber man muss ein Auge auf alle Teile halten …

Rap wird seit Dekaden in aller Regelmäßigkeit für wahlweise tot oder absolut skandalös, weil jugendgefährdend, in den Mainstream Medien stigmatisiert – um dann wieder bzw. gerade deshalb weiter zu wachsen und sich neu zu erfinden. Wie bewertet ihr vor diesem Hintergrund eure Rolle als Journalisten? Inwiefern hat sich der Umgang mit den Artists durch die Selbstvermarktungsmechanismen von Instagram, Snapchat, YouTube etc. verändert?

Florence „Lupa“ Bader (Chefredakteurin MZEE.com): Ich denke, ein Teil der Rolle der Journalisten, Redakteure und allgemein Schreibenden ist es auf jeden Fall, Sachen für Außenstehende in den richtigen Kontext einzuordnen. Denkanstöße zu geben. Andere Richtungen aufzuzeigen. Und Plattformen zu bieten, auf denen man sich über Rap informieren und von Autoren über Rap lesen kann, die sich in dem Thema zu Hause fühlen. Dabei darf nicht unter den Tisch fallen, dass man sich als schreibender Rap-Fan – der jeder Rap-Journalist nun mal auch ist – oft an die eigene Nase fassen muss. Um objektiv zu bleiben. Um Rappern, die man vielleicht mag oder gut findet, auch kritische Fragen zu stellen beziehungsweise ihr Handeln und ihre Aussagen zu hinterfragen. Und das gerade auch in Zeiten der sozialen Medien. Wenn es keine professionell geführten, sachlich berichtenden und informativen Rap-Magazine mehr gibt – wer berichtet dann? Die Künstler über sich selber über die genannten Plattformen. Und die Mainstream-Medien genau dann, wenn es mal wieder einen Skandal gibt. Den sie meist nicht wirklich verstehen, einordnen und richtig bewerten können. In meinen Augen nehmen die Rap-Magazine eine immer wichtigere Rolle ein. Die zwar immer kleiner und weniger beachtet wird, aber einen Gegenpol bietet, der von Bedeutung ist. Zum Umgang mit den Künstlern: Größtenteils hat sich nicht der Umgang mit den Künstlern selber geändert, weil wir ja oft eher in Kontakt zu Managern und Promotern stehen. Also ändert sich für uns eher der Umgang mit Letzteren. Die beispielsweise schon auch immer weniger Gewichtung auf ordentliche Interviews legen und mehr absagen, wenn es ihnen nicht zu 100 Prozent inhaltlich in den Kram passt – je größer der Künstler, desto eher kommt es vor, dass er nicht auf Magazine angewiesen ist. Weil seine Reichweite einfach so viel größer ist als unsere. Oder die letzte Review von uns war nicht so toll – und zack, findet der Künstler halt nicht mehr bei uns im Interview statt …

Was ist guter Rap?

Florence „Lupa“ Bader: Da kann ich ja nun wirklich nur ganz für mich allein sprechen … Rational gesehen hat guter Rap für mich in erster Linie einen Vibe, der mich catcht, einen sauberen, abwechslungsreichen Flow und eine Message. Emotional gesehen muss er mich berühren. Der Track kann witzig oder deep sein, politisch oder inhaltlich totaler Unsinn. Wenn ein Track mich berührt, dann muss ich das nicht mal rational erklären können – und würde ihn wohl als gut bezeichnen.

Ihr betreibt den Blog in eurer Freizeit und ehrenamtlich, wieviel Zeit verschlingt diese Arbeit?

Florence „Lupa“ Bader: Jeder investiert so viel Zeit in das Magazin, wie er geben kann und auch bereit ist, zu geben. Ich persönlich bin als Hauptverantwortliche vermutlich stundentechnisch am meisten mit dem Projekt beschäftigt – und liege je nach Woche zwischen 15 und 25 Stunden.

Was motiviert euch?

Florence „Lupa“ Bader: Leidenschaft und das Gefühl, eine relevante Aufgabe in der Szene auszuführen, die fast niemand sonst übernimmt.

Gibt es bei MZEE Kriterien oder Grundsätze, was den Umgang mit kontroversen Künstlern und Künstlerinnen angeht? Stichwort sexistische, homophobe, antisemitische Texte und Äußerungen sowie Image der Artists? Bietet ihr dafür eine kritische Plattform oder wird das Problem durch Berichterstattung eigentlich noch größer als es sowieso schon ist?

Daniel Fersch (Leitender Redakteur MZEE.com): Das Problem mit kritischer Berichterstattung in der deutschen HipHop-Szene ist vor allem, dass viele der entsprechenden Magazine eher als eine Art „Werbeplattform“ fungieren. Da wird den Künstlern lieber zur goldenen Schallplatte gratuliert oder von der neuen Tour geschwärmt als darauf hingewiesen, wenn eine Textzeile des neuesten Hits moralisch absolut verwerflich ist. Um zumindest den Anschein zu erwecken, es gäbe eine kritische Auseinandersetzung, greifen viele dieser Plattformen einfach darauf zurück, die Meinungen anderer einzufangen. Dann wird sich auf die Artikel anderer Magazine oder die Facebook-Beiträge und YouTube-Kommentare Dritter bezogen, damit man selbst keine kritischen Worte finden muss.

Diese Magazine sind oftmals finanziell von der Zusammenarbeit mit den Künstlern und deshalb von deren Wohlwollen abhängig, da wird von Kritik an den Quasi-Geldgebern lieber abgesehen. Für uns war von Anfang an klar, dass das bei MZEE.com nicht der Fall sein soll. Wir wollten unserer moralischen Integrität kein Preisschild verpassen und sind dafür dann lieber finanziell eingeschränkter – aber unabhängig. Darum stellen wir in unseren Interviews auch unbequeme Fragen. Darum setzen wir uns in unseren Album-Reviews kritisch mit einzelnen Textzeilen auseinander. Darum thematisieren wir aktuelle Handlungen und Aussagen einzelner Rapper im Bereich unserer Unterkategorie „Statement“ des monatlich erscheinenden „High Fives“. Und darum beleuchten wir auch Gesamtproblematiken innerhalb der Szene in unserer Kommentar-Reihe. Diese Beiträge spiegeln für gewöhnlich den Grundtonus der gesamten Redaktion wider, gegebenenfalls wurde darüber zuvor intern diskutiert, denn für uns ist es ebenso wichtig, einen Konsens zu bilden, den wir allesamt vertreten können. Andererseits sehen wir auch davon ab, problematischen Künstlern eine Plattform zu bieten, wenn es um die reine Bewerbung ihrer Musik geht. Ist ein Künstler nicht gewillt, auch mit kritischen Fragen konfrontiert zu werden, führen wir eben kein Interview mit ihm. Fällt ein Künstler zusehends negativ auf und eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Inhalten würde nicht mehr viel zur Diskussion beitragen, dann werden wir nicht über das Release berichten. Hier reden wir allerdings von reiner Promotion, die wir nicht bieten wollen. Ansonsten ist es uns wichtiger, aufzuzeigen und anzuprangern als totzuschweigen. Denn ob es sich um rassistische, homophobe, sexistische oder auf andere Weise menschenverachtende Inhalte innerhalb der HipHop-Szene dreht – gesprochen werden muss darüber unbedingt. Man löscht kein Feuer, indem man es einfach ignoriert. Zwar ist es sicherlich auch noch nicht die Lösung des Problems, andere Beteiligte auf das Feuer hinzuweisen, aber es ist zumindest ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn wer nicht zur Lösung beiträgt, ist nun mal Teil des Problems.

Wie geht ihr mit Beschwerden bzgl. Mobbing in eurem Forum um? Ist die Kritik, ihr würdet nicht genug gegen sexistische und menschenverachtende Kommentatoren vorgehen, berechtigt? Gibt es Grundsätze nach denen die Moderatoren des Forums handeln und wird die Durchsetzung in irgendeiner Form kontrolliert?

Ralf Kotthoff, Gründer und Inhaber von MZEE.com: Das ist ein sehr schwieriges, komplexes Thema. Viele deutsche Zeitungen haben die Kommentarfunktion auf ihren Webseiten abgeschaltet, weil es quasi unmöglich ist, darauf die eine Antwort zu finden, die im Kreuzfeuer des öffentlichen Meinungsspektrums Bestand hat. Um das Forum nicht einfach abzuschalten, habe ich mich für einen vielschichtigen Kompromiss entschieden. Als Grundsatz steht in unserer Selbstdarstellung: „Wir werden (…) nicht alles und jeden dulden. (…) Alles was rein destruktiv und kontraproduktiv ist, werden wir versuchen, von unserem Server zu verbannen.“ (http://www.mzee.com/forum/help/mission/) Um das umzusetzen, haben wir im Forum „Strafen“: Inhalte werden rigoros gelöscht und Konten werden zeitweise oder permanent gesperrt. Es gibt feste Regeln, was bei uns unerwünscht ist, z. B.: „Beleidigungen, rassistische/sexistische (…) Kommentare“ (http://www.mzee.com/forum/help/faq/). Wir fordern auch alle User auf, fragliche Inhalte den Moderatoren zu melden. Aber natürlich sind die Maßstäbe, nach denen die Moderatoren diese Regeln anwenden, immer abhängig von dem, was in dem Forum und von dem jeweiligen Moderator als „normal“ angesehen wird. Da kommt es natürlich leicht zu Meinungsverschiedenheiten. Die Moderatoren sind Freiwillige, die sich bereit erklärt haben, teilweise viele Stunden die Woche im Forum aufzuräumen und sich beschimpfen zu lassen. Ich bin froh, dass es sie gibt, und, nein, ich kontrolliere sie nicht. Ich kenne noch nicht mal ihre echten Namen. Das klingt sehr laissez-faire, wird aber durch mehrere Korrekturmechanismen im Zaum gehalten.

Erstens ermutige ich alle, die sich von einem Moderator ungerecht behandelt fühlen, andere Moderatoren anzusprechen. Die Moderatoren sind untereinander nicht zimperlich und diskutieren unter sich teilweise sehr kontrovers. In der Vergangenheit kam es sehr wohl schon dazu, dass einzelne Mods rausgeschmissen wurden von ihren Kollegen. Zweitens gibt es die deutschen Gesetze. Und diese gehen sehr weit – z. B. auch bei Mobbing. Nur bin ich oder die Moderatoren nicht die Instanz, die irgendwas rechtssicher bewerten können. Wenn jemand seine Rechte verletzt sieht, soll er bitte sofort Anzeige erstatten. Dazu habe ich User, die sich bei mir in der Vergangenheit gemeldet haben, immer wieder ermuntert. Aber bei all diesen Anstrengungen verstehe ich sehr gut, dass nicht jeder den Umgangston im MZEE-Forum mag. Mir persönlich ist meine Zeit auch zu schade, mich da beschimpfen zu lassen. Also drittens: Lösche deine Inhalte und dein Konto und entziehe dich einfach dem Ganzen. Es gibt doch Milliarden andere Webseiten, auf denen man seine Zeit und Energie verwenden kann! Wem das als Antwort nicht reicht, weil ihr/ihm ihre/seine Präsenz im MZEE-Forum wichtig ist, dem biete ich sofort (und sehr ernst gemeint) an, sich als Moderator im Forum zu bewerben. Wer als besonnene Stimme im Forum bekannt ist, wird von dem Moderatoren-Team bestimmt mit Kusshand genommen. Aber spätestens bei diesem Vorschlag habe ich bisher von allen, die vorher viel Energie aufgewendet haben, sich überall zu beschweren, wie sehr sie/er im Forum gemobbt wurden, auf einmal nichts mehr gehört.

Für die nicht so Rap-affinen Leser*innen dieses Blogs: Welche größeren Stilrichtungen macht ihr derzeit im deutschsprachigen Rap aus und wohin geht die Entwicklung eurer Meinung nach?

Daniel Fersch: Ein aktuell sehr auffälliger Trend ist die Entwicklung hin zu hauptsächlich soundästhetisch ausgelegter Musik. Rap war schon immer eine Musikrichtung, in der sich alles um Style und Sound drehte, die aber auch immer einen wichtigen Fokus auf Inhalte setzte. Die Aussage eines Rap-Textes war immer mindestens genauso wichtig wie die Frage, ob sich das Ganze am Ende gut anhört. Zumindest im Mainstream – in dem auch deutscher Rap mittlerweile längst angekommen ist – scheint die inhaltliche Aussage jedoch immer weiter an Bedeutung zu verlieren, die Hörer ziehen eingängige Klänge, die man auch nebenbei konsumieren kann, einem Text, mit dem man sich befassen muss, vor. Viele Künstler kommen dem Wunsch der breiten Masse nach kurzweiligem Hörgenuss nach und liefern damit Hitsingles, die Gold- und inzwischen sogar Platinstatus erreichen, denen es aber oft am Geist alter HipHop-Werte mangelt.

In den USA gipfelt dieser Trend gerade bis hin zum „Mumble-Rap“, bei dem der Text sogar nur noch genuschelt und unverständlich eingerappt wird, so als diene er einfach nur als weiteres Instrument, das in den Beat eingearbeitet wird. Natürlich bedeutet dies nicht, dass Rap – national wie international – gänzlich an Aussage verliert, und es ist jedem selbst überlassen, wie er diese Entwicklung bewertet. Es ist jedoch ein recht interessanter Umstand, dass eine Szene, die vor allem für Inhalt und Message steht, sich gerade sehr davon wegbewegt.

Noch eine letzte Frage bzgl. des Forums: Sehr stark wird auch aus der Szene heraus immer wieder das MZEE-Forum kritisiert und ihr als Redaktion damit identifiziert. Was ja schon problematisch ist, da die Trennung für Außenstehende gar nicht ersichtlich ist. Auch wenn ihr für das Forum nicht verantwortlich seid: Wäre es nicht trotzdem sinnvoll, euch stärker einzumischen, eure kritischen Positionen als eigentliche MZEE-Macher*innen deutlich zu machen? Sexistische oder mobbende Idioten einfach fürs Forum zu sperren, befördert allein ja nicht die Diskussion um solche real in der HipHop-Szene verbreitete Haltungen?

Sascha Koch: Es ist korrekt, dass Magazin und Forum in der Außenwahrnehmung quasi nebeneinander existieren. Beides findet unter dem Namen MZEE statt und besucht man unsere Webseite, gelangt man über einen recht unprominenten, aber vorhandenen Button direkt auf den Foren-Bereich. Vorher befindet man sich aber eben primär auf der Startseite des Magazins. Und dort haben wir, wie schon erwähnt, die Möglichkeit, Stellung zu beziehen zu Sachverhalten oder Tendenzen, die in der Szene oder der Gesellschaft allgemein stattfinden. Und diese Möglichkeit nehmen wir auch immer wieder wahr, wenn es in unseren Augen notwendig ist. Wenn beispielsweise Rapper fragwürdige Äußerungen in ihren Texten oder bei öffentlichen Auftritten tätigen, die dazu führen, dass darüber geredet wird, ob ein Sexismus- oder ein Rassismusproblem in der HipHop-Szene vorliegt, dann ist es unsere Pflicht, an der Diskussion teilzunehmen, die Szene und damit auch uns selbstkritisch zu betrachten und unsere Haltung dazu kundzutun, um einen im Idealfall positiven Einfluss auf das Ganze nehmen zu können. Und dieser Pflicht kommen wir im Rahmen des Magazins gerne nach, weil dies in unseren Augen von gesellschaftlicher Bedeutung und eben unsere Aufgabe als Redakteure ist. Daher ist es in unseren Augen sinnvoller, dort durch qualitative Arbeit ein großes Zeichen zu setzen, was unter anderem auch mehr Foren-User erreichen kann, statt uns an allen Diskussionen im Forum zu beteiligen und bei jeder Verfehlung einen Kommentar zu verfassen, der in der Masse untergeht und nicht zur Lösung eines Problems beiträgt. Das wäre überspitzt gesagt so, als würde man überlegen, Facebook abzuschalten, weil es dort Leute gibt, die sich beleidigend, sexistisch, rassistisch oder sonst wie negativ äußern. Oder man Mark Zuckerberg bitten würde, jedes einzelne Gespräch persönlich zu checken, um dann ein Statement abzusetzen, wenn sich jemand derart danebenbenimmt. Genau wie Facebook ist auch das Forum ein Werkzeug, das bei richtiger Nutzung, die ein Großteil der Nutzer beherrscht, einen sehr positiven Effekt hat. Wie schon erwähnt, verbindet das Forum HipHop-Fans aus mehreren Ländern, die dadurch die Möglichkeit haben, in konstruktiven Austausch zu treten und das zu teilen, was sie lieben. Als Resultat sind aus dem Forum eben auch schon einige namhafte Rapper hervorgegangen. Und für diese freudigen Aspekte des Forums bekommen wir eben dann nicht nur Kritik, sondern auch viel Lob aus der Szene. Dass einige Leute dieses Werkzeug negativ missbrauchen, um anderen in irgendeiner Form zu schaden, ist absolut nicht in Ordnung und soll durch Kontrollinstanzen wie die Foren-Moderatoren oder, wenn es gar nicht anders geht, die Polizei nach Anzeige unterbunden werden. An der Diskussion um die angesprochenen Haltungen innerhalb der Szene können wir als Magazin aber eben am besten teilnehmen, wenn wir unsere Haltung durch redaktionelle Arbeit darlegen und uns somit auch von dem distanzieren, was an Beleidigungen anderweitig stattfindet, da dies nicht unserem Ideal entspricht.

Und warum scheint eurer Meinung nach gerade die HipHop-Szene so anziehend für intolerante Menschen zu sein, ist das allein mit dem Aspekt der Competition erklärbar oder habt ihr noch andere Ansatzpunkte?

Daniel Fersch: Ob im Rock, Techno oder im Reggae – Intoleranz ist leider nach wie vor in jeder Musikszene zu finden. Egal ob sie letztlich in Gestalt von Sexismus, Homophobie oder sonst wie auftritt. Rap ist keineswegs ein Magnet für intolerante Menschen, zumindest nicht mehr als jedes andere Genre. Und wie jedes andere Genre hat er nun mal seine guten und seine schlechten Seiten. Wer sich eingehend mit Rap befasst, der findet genauso viele Positivbeispiele: Künstler und Gruppen, die sich für das Miteinander einsetzen, die Workshops für Unterprivilegierte veranstalten, Benefizkonzerte für Geflüchtete ins Leben rufen und mit ihren Texten positive Inhalte verbreiten. Warum negative Schwingungen hier oberflächlich eventuell dominanter wirken, könnte aber unter anderem am Wettbewerbscharakter der Rap-Kultur liegen. Der Battle-Rap lebt davon, dass zwei Konkurrenten ihre realen oder fiktiven Streitigkeiten verbal austragen. Statt sich mit den Fäusten zu bekämpfen, greift man den Gegner mit Worten an. Worte, die verletzen und diskreditieren sollen. Klar mag das von außen oft sehr aggressiv wirken, und da hier auch diverse Beleidigungen jenseits des guten Geschmacks existieren, überschreitet Rap damit auch Grenzen. Dennoch gibt es einerseits durchaus Diskurse, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden, andererseits sind die meisten dieser verbalen Attacken nach dem Wettstreit auch sofort vergeben und vergessen. Wenn Battle-Rap nicht auf der Bühne und zwischen zwei Künstlern ausgetragen wird, sondern in Form von Liedern stattfindet, ist der Wettbewerbsgedanke natürlich weniger offensichtlich, verbale Angriffe wirken wahlloser und plumper. Doch auch in diesem Fall werden von Magazinen wie uns Problemfälle angeprangert, die den Wettbewerbsgedanken nutzen, um ihre Intoleranz massentauglich zu machen. Denn einen Freibrief, alles zu sagen und jeden zu beleidigen, hat ein Rapper auch innerhalb der Szene dadurch natürlich nicht. Wer hier zu weit geht, muss mit den gleichen Repressalien rechnen, wie in jeder anderen Musikrichtung – vielleicht sogar noch weit stärker, weil Künstler immer direkt mit ihrer Musik und ihren Texten in Verbindung gebracht werden. Wie Megaloh einst sagte: „Einzige Mucke, wo man das, was man sagt, auch verkörpern muss.“