Die Nominierten 2018
Kategorie I: Kunst und Medien
Olad Aden – Gangway Beatz
Sozial benachteiligten Jugendlichen Wege aus der Kriminalität aufzuzeigen ist ein hartes Geschäft. Olad Aden ist seit 15 Jahre in der Straßen- und Gefängnisarbeit tätig. Und er hat es geschafft, mit Gangway Beatz über 10 Jahre ein Projekt aufzubauen, in dem Jugendliche mit wenig Perspektiven über künstlerischen Ausdruck wie Tanzen oder Rappen neue Ziele finden können. Und zwar über die Grenzen Deutschlands hinaus: Sowohl mit Jugendlichen aus der Bronx als auch aus Detroit entstanden langfristige (kulturelle) Austauschprogramme. Rappende und tanzende Jugendliche aus beiden Ländern kommen zusammen und am Besuchende steht eine gemeinsame CD. Dabei werden die Grenzen der künstlerischen Ausdrucksformen genreübergreifend immer wieder neu ausgelotet. Kollaboratives Lernen, internationale Kooperation und künstlerische Experimentierfreude sind selbstverständliche Inhalte von Gangway Beatz. Olad Aden hat ein Programm entwickelt, das durch seine Authentizität Jugendliche in prekären Verhältnissen wirklich erreicht, und er hat – gemeinsam mit seinem Team – ein enormes Durchhaltevermögen bei dieser schwierigen Arbeit bewiesen.
MZEE
Als sich Mitte 2014 die Nachricht verbreitete, dass MZEE seine Pforten schließen würde, verlor Rap-Deutschland nicht nur ein Label und einen Shop, sondern auch ein Kultforum, das insbesondere der diskutierfreudigen Szene eine Plattform bot. Ein gutes Jahr später war MZEE wieder zurück – nicht als Onlineshop, sondern als reines Deutschrap-Online-Magazin, das vielfältige Möglichkeiten zur Diskussion bietet. Das MZEE-Magazin, das es früher auch noch in Printform gab, stellt z. B. in der Serie „MIC CHECK“ Talente vor, die eventuell nicht jeder auf dem Radar hat. In den Bereichen Musik und Bildende Kunst gibt man hier nicht nur etablierten Künstler*innen, sondern auch neuen und unbekannten Gesichtern und Stimmen eine breite Plattform. Es ist anders ausgerichtet als gängige Mainstreamprodukte, weil es seinen Fokus auf Politik, Individualität und ganzheitliche Darstellung der Szene legt. In den Foren wird kein Szene-relevantes Thema ausgelassen. Beeindruckend: Ein Team von ehrenamtlich engagierten Redakteur*innen machte das Comeback und das inzwischen dreijährige Durchhaltevermögen möglich.
Literally Peace. A Transcultural Dialogue
Literally Peace ist eine Gruppe junger Autor*innen in und aus Syrien und Deutschland, die seit April 2017 in ihrem gleichnamigen Blog dreisprachig (deutsch-englisch-arabisch) literarische Texte veröffentlichen, sich austauschen und vernetzen. Derzeit sind etwa 20 Personen im Projekt engagiert, der Jüngste ist 21, die Älteste 35 Jahre alt. Sie verfassen nicht nur eigene literarische Texte und übersetzen diese, sondern engagieren sich auch darüber hinaus für interkulturelle Toleranz und organisieren zahlreiche weitere Tätigkeiten über den Blog hinaus, z. B. Live Performances. In Planung sind eigene Veröffentlichungen, Schreibwerkstätten und in Zusammenarbeit mit zwei syrisch-deutschen Filmemachern ein Kurzfilm. „Ich möchte, dass die Leute sehen, dass Syrien voll ist mit Menschen mit realen Leben, nicht nur Kriegsopfern. Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Perspektive“, beschreibt die 27-jährige Gründerin ihre Motivation. Die bisher veröffentlichten Texte handeln von der jeweiligen Lebensrealität der jungen Syrer*innen und Deutschen in Krieg und Frieden, aber auch von Freundschaft, Liebe, Hoffnung, Migration und Heimat. Sie entdecken unterschiedliche Sichtweisen, aber auch Gemeinsamkeiten, und schaffen eine Zusammenarbeit über Grenzen und Kulturen hinweg.
Kategorie II.: Jugendarbeit und Selbstorganisation
Dorf der Jugend Grimma/Tobias Burdukat
Im ländlichen Grimma in Sachsen hat Tobias Burdukat mit dem „Dorf der Jugend“ ein selbstverwaltetes Zentrum für Offene Jugendarbeit konzipiert und umgesetzt. Zentraler Ort ist eine ehemalige Spitzenfabrik, die gemeinsam mit Jugendlichen zu einem Jugendzentrum ausgebaut wird. Hier ist unter anderem ein von Jugendlichen betriebenes Café entstanden, werden Konzerte und (jugendkulturelle) Workshops veranstaltet. Zentral ist dabei der Peer-to-Peer-Ansatz, nach dem Jugendliche Angebote für Jugendliche schaffen. Dadurch bindet das „Dorf der Jugend“ kontinuierlich aktive junge Menschen an sich, die Verantwortung übernehmen. Außerdem positioniert sich das „Dorf der Jugend“ klar gegen den erstarkenden Alltagsrassismus und rechtes Gedankengut. Tobias Burdukat hat es geschafft, sein theoretisches Konzept zum „Dorf der Jugend“ in der Realität umzusetzen und schafft damit eine besondere Verknüpfung von Theorie und Praxis: Das Konzept kann auch für ähnliche Projekte im ländlichen Raum funktionieren, wodurch das „Dorf der Jugend“ nicht nur ein besonderes Einzelprojekt, sondern auch Impulsgeber ist.
Alternatives Jugendkulturzentrum Bad Kreuznach
Geboren aus der „Kleinstadt-Langeweile“ und in Ermangelung passender Freizeitmöglichkeiten gründeten 2009 einige Jugendliche den Verein Alternative JugendKultur. Glückliche Fügungen, Mut und großes Engagement führten dazu, dass der Verein 2012 eine Immobilie erwarb, in Eigenleistung sanierte und 2013 das erste selbstverwaltete Kulturzentrum in Bad Kreuznach eröffnete. Seitdem entwickeln sich im AJK Kulturzentrum vielfältige Projektgruppen und junge Menschen zu aktiven Mitgestalter*innen unserer Gesellschaft. Ein Repair Café lädt jeden Monat die Nachbarschaft zum Reparieren ein, Konzerte bringen Szenebands nach Bad Kreuznach und junge/lokale Musiker*innen auf die Bühne; Poetry Slams, AJKino, Lesebühnen, Aktionen gegen Rechts und vieles mehr bereichern das kulturelle Leben der Stadt.
Die AJK besteht mittlerweile aus 170 Mitgliedern, von denen 10-15 Aktive das Vereinsleben maßgeblich gestalten. Die Lage des Kulturzentrums im zentralen Pariser Viertel, welches von prekärer Bausubstanz und einem hohem Migrant*innenanteil geprägt ist, veranlasste den Verein eine weitere Immobilie anzukaufen und damit die Themen bezahlbarer Wohnraum und urban Gardening in die Agenda aufzunehmen. Gemeinsam mit der Nachbarschaft soll nun ein Veranstaltungsgarten erbaut werden und das neue Wohnhaus bietet Platz für einen solidarischen Landwirtschafts-Laden und 5 Bewohner*innen. Getragen wird die Arbeit des Vereins ehrenamtlich und basisdemokratisch. Förderungen ermöglichen punktuell den Einsatz von Honorarkräften, um Projekte in der Jugendsozialarbeit zu realisieren.
Projektseminar „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ am Spessart-Gymnasium Alzenau
13 Schüler*innen im Alter von ca. 17 Jahren wollen das rassistische, homophobe, sexistische und antisemitische Klima an ihrer Schule im unterfränkischen Alzenau nicht mehr hinnehmen. In einem ersten Schritt skandalisieren sie mit einer Ausstellung in der Schulaula die traurige Situation. Diese Bestandsaufnahme löst so aggressive Reaktionen aus, dass der Schulleiter sie auffordert, die Ausstellung um des lieben Schulfriedens willen wieder abzubauen. Die Jugendlichen widersetzen sich, weil dies ein Triumph der rassistischen und diskriminierenden Fraktion gewesen wäre. In den Folgemonaten mischen sie die Schule mit einer Vielzahl von Aktionen (Plakate, Installationen, Videos), Diskussionen und Begegnungen mit Geflüchteten auf. Ihr Ziel: Sie wollen die bislang schweigende Mehrheit aufrütteln und überzeugen, dass es cool ist, sich für demokratische Werte einzusetzen und Respekt zu zeigen. Ihr Ziel ist es, Teil des bundesweiten Netzwerks Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage zu werden. Nominiert wird die Schule, da sie ein Beispiel dafür ist, wie es einer rassismuskritischen Jugendbewegung auch innerhalb der Zwangsinstitution Schule gelingen kann, Rassismus und anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit entschieden und mit langem Atem entgegenzutreten.
Kategorie III.: Wissenschaft und Forschung
Masterarbeit „Nichts als Freiraum – visionäre Forderungen für gelungene Partizipation von Jugendlichen in Freiräumen“ von Anna Michel
„Guten Tag, Sie bieten ein leerstehendes Ladenlokal zur Vermietung an und ich möchte Sie höflich fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, diesen Raum für eine gewisse Zeit zur Zwischennutzung für ein Projekt von Jugendlichen zur Verfügung zu stellen?“ – „Für Jugendliche? Nein, also wir haben da gerade frisch gestrichen!“ Mit diesem Zitat beginnt die Einleitung dieser wissenschaftlichen Arbeit, welche der Frage nachgeht, was passieren müsste, damit Partizipation von Jugendlichen in Freiräumen wirklich stattfinden kann. Die Themen „Partizipation“, „Jugendliche“ und „Freiraum“ werden beleuchtet und zueinander auf verschiedenen Ebenen in Verbindung gesetzt. Im Hauptteil der Arbeit, die Entwicklung der Forderungen, werden Beispiele aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen dargestellt, deren Kernaussagen herausgefiltert und zur Nachahmung in der Praxis bereitgestellt. Die Arbeit ist vielschichtig, zeigt neue Denkweisen auf und motiviert durch sehr konkrete und reflektierte Praxiserfahrung. Sie ist ein Plädoyer für die Jugend. Und sie ist ein Plädoyer dafür, als Erwachsene Macht abzugeben und „Frei“raum für junge Menschen (wieder und mehr) zu ermöglichen.
Making Art, Making Media, Making Change!
„Making Art, Making Media, Making Change!“ gibt Jugendlichen – v. a. Mädchen/jungen Frauen – Einblicke in jugendkulturelle, alternative Medien- und Kulturproduktionen mit feministischen und antirassistischen Perspektiven. In Workshops diskutieren und erproben junge Menschen zwischen 12 und 26 Jahren das kritische Potenzial von Zines, Comics und Radical Crafting. Kernstück ist die kostenfrei entlehnbare Toolbox „Do-It-Yourself, Do-it-Together! Künstlerisch-edukative Materialien und Angebote für eine kritische Vermittlungspraxis“. Eine mit den Workshops mitwandernde Leselounge macht feministische Kulturprojekte und Alternativmedien zugänglich. Das Projekt basiert auf langjährigen wissenschaftlichen Recherchen zu queer-feministischen Zines und Jugendkulturen von Dr.in Elke Zobl, Assoziierte Professorin (Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst) an der Universität Salzburg. Es wurde als Wissenschaftskommunikationsprojekt bereits 2014/15 umgesetzt, aber auch aktuell werden mobile Workshops mit Jugendlichen sowie Weiterbildungen für Multiplikator*innen (Train-the-Trainer-Workshops) angeboten. An einer Weiterentwicklung der Toolbox wird gearbeitet. Das Team besteht aus Wissenschaftler*innen, Künstler*innen sowie Kultur- und Medienproduzent*innen und Kooperationspartner*innen aus der kritischen Kulturvermittlung und Jugendarbeit. Das Projekt steht beispielhaft für eine gelingende Kooperation von Universität/Forschung mit der Jugendarbeit, der kulturellen Bildung und der künstlerischen/kulturellen Praxis.
JuBri – Techniken jugendlicher Bricolage
Fanzines aus Jugendszenen konservieren jugendliche Selbstdarstellung, jugendliche Ästhetik und jugendliche Praktiken auf besondere Weise. Das Projekt JuBri hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Schatz zu heben. Grundlage war der Fanzinebestand des Archivs der Jugendkulturen. Ein Verbund aus etablierten und jungen ForscherInnen hat diesen systematisch analysiert und durch Beobachtungen in Szenen und Interviews ergänzt. Zentrale Fragen waren die Inszenierung von Geschlecht, dem Politischen, der Vergemeinschaftung und der Generationalität/Jugendlichkeit, die aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet wurden. JuBri nutz mit den Fanzines eine authentische jugendliche Selbstdarstellung, um tiefere Einblicke in Jugendszenen zu erhalten. Der interdisziplinäre Ansatz der Forschungsarbeit schafft es, ein umfassendes Bild über jugendliche Inszenierung zu zeichnen.
Am 7. September werden bei der offiziellen Preisverleihung in Berlin die drei Hauptpreisträger bekanntgegeben.