European Youth Culture Award
Allgemein EYCA 2018

„Jugendkultur ist zu nachrangig“

Die Respekt-Stiftung, 2011 aus dem Archiv der Jugendkulturen ausgegründet, will gute Jugendprojekte öffentlich machen und deren Köpfe fördern. Auf sie, die sich für Jugendliche engagieren und mit ihnen „gemeinsame Sache machen“, komme es an, sagt Klaus Farin, Spiritus rector des European Youth Culture Awards. Die Notwendigkeit, gute Jugendkulturarbeit auch international sichtbar(er) zu machen, begründet er damit, dass sie zu häufig unbeachtet bleibe: Das muss sich ändern! Anhand seiner Forschungsvita weiß Klaus Farin, dass Jugendkulturen Katalysator unserer Demokratie sind. Ein Gespräch darüber.

Welches war dein Highlight beim EYCA 2017?
Klaus Farin:
Wemsical Serbia fand ich beispielhaft, weil junge Leute eigeninitiativ gute Veranstaltungen und Workshops ins Leben rufen und entwickeln. Lob verdienten gleichwohl alle Bewerber aus dem vorigen Jahr. Wir hatten über 20 Einsendungen, konnten allerdings nur sechs auszeichnen. Ich freue mich, dass das Projekt aus Serbien dabei war und dass wir schon im ersten Anlauf einen internationalen Preis vergeben haben. So war es gedacht.

Wer soll oder wer kann sich für den Award bewerben?
Wer ihn haben will, bewirbt sich nicht selbst, sondern muss vorgeschlagen werden. Diese kleine Hürde haben wir eingebaut, damit es jemanden gibt, der bürgt und sagt: Dieses Projekt ist toll!

Initiativen oder Einzelpersonen, formal auch Vereine, können vorgeschlagen werden. Wir wollen Jugendkultur stärken, die ungewöhnliche Wege geht, die ein bisschen unorthodoxer sind.

Der Preis umfasst drei Kategorien: Erstens Medienkulturarbeit, zweitens Jugendarbeit, Partizipation und Selbstorganisation, drittens Wissenschaft und Forschung. Für letzere hatten wir 2017 noch keine Nominierung. Es kann zum Beispiel jemand nominiert werden, der eine spannende Dissertation zum Thema Jugendkultur geschrieben hat. Oder ein universitäres Forschungsprojekt meldet sich.

Was meinst du, warum hat sich aus der Wissenschaft und Forschung niemand beworben?
Ich habe den Eindruck, dass Jugendkulturen dort kein Thema sind – es sei denn, sie werden unter pädagogischen Vorzeichen oder Präventionsgedanken betrachtet: Rechtsextremismus, Drogen, Gewalt. Es gibt keinen einzigen Lehrstuhl für Jugend in Deutschland, geschweige denn für Jugendkulturen. Zur Kindheit gibt es, meine ich, über ein Dutzend. Einzelne engagierte Wissenschaftler haben Jugend als Thema im Blick – aber nicht, weil ihr Lehrstuhl so definiert ist, sondern aus persönlichem Antrieb.

Ich finde es bezeichnend, dass Jugend, die angeblich so wichtig ist, kein Thema nachhaltiger Forschung ist.

Was ist Jugend nach deiner Definition?
Die Zeit zwischen dem 13. Geburtstag und Mitte 20. Jugend beginnt, wenn die Kids rausgehen und sehen: Die Welt ist bunter, als mir meine Mutter verraten hat. Gleichaltrige werden wichtiger, man entwickelt eigene musikalische Vorlieben und einen eigenen Stil. Wir wissen aus der Hirnforschung, dass der Umbau des Gehirns, der Teil der Pubertät ist, Mitte 20 abgeschlossen ist. Heißt: Ab Mitte 20 werden Menschen konservativer, auch in den Lebensgewohnheiten. Sie sind nicht mehr so neugierig.

Du arbeitest seit Jahrzehnten mit Jugendlichen. Gibt es noch etwas, das dich überrascht?
Das Problem ist, dass man weniger überrascht wird, je länger man sich mit einem Thema befasst. Wenn heutzutage jemand eine „neue“ Jugendkultur für sich entdeckt, weiß ich, dass es einen vergleichbaren Zeitgeist schon vor 20 oder 30 Jahren gab. Als Forscher im Feld, als teilnehmende Beobachter, sind junge Leute daher geeigneter. Jemand, der lange dabei ist, hat indes die Fähigkeit, Dinge zu analysieren, zusammenzubringen und mit vergangenen Jahrzehnten in Verbindung zu bringen. Deshalb bestehen ideale Forscherteams aus mehreren Generationen.

Klaus im Gespräch mit Laetitia Huft.

Was wünschst du dir für deine Arbeit?
Ich bin immer wieder erschüttert, wie wenig Lehrer*innen über die Lebens-, Alltags- und Freizeitwelten ihrer Schüler*innen wissen. Jugendkultur ist zu nachrangig. Ich möchte Erwachsene ermutigen, Jugendliche anzusprechen und zu fragen. Differenziertes Wissen ist wichtig und Jugendkultur bewirkt grundsätzlich Positives. Was eine Gesellschaft wie unsere braucht, ist Leidenschaft: Menschen, die für nichts brennen, sind für eine Demokratie unbrauchbar. Engagement ist der Schlüssel. Und Jugendkulturen sind ein Ort, an dem sich Menschen engagieren.

Klaus Farin zählt bundesweit zu den profiliertesten Forschern, Netzwerkern und Publizisten im Bereich Jugendkulturen und Jugendsubkulturen. Er ist Mitbegründer des 1998 entstandenen Archivs der Jugendkulturen sowie Mitarbeiter und Herausgeber mehrerer Zeitschriften. Er leitet den 2003 entstandenen Hirnkost-Verlag und ist seit 1983 Mitglied im Pressenetzwerk für Jugendthemen e.V. Klaus Farin lebt in Berlin.

Interview: Laetitia Huft, Fotos: privat/flickr

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